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Schichtenbilder

 
Vom Künstler muss man zweierlei fordern: ästhetische Innovation und radikale Authentizität. Versagt er im ersteren, nennt man ihn Kunsthandwerker. Versagt er in zweiterem, nennt man ihn belehrend und moralisierend. Ersteres fordert Klugheit und weltläufige Informiertheit. Zweiteres fordert mit Joseph Beuys: Zeig mir Deine Wunde.
 
Auch in seinen Schichtenbildern wird Erich Tschinkel beiden Forderungen gerecht. Ausgangspunkt sind formale Reflexionen von Computertomographien eines Schädels, des Hirns. Das Gerät stellt Schicht um Schicht das Innere des Gehirns dar, kalt, sachlich, mit Computerschrifttypographie, Messfenstern - technoide Chiffren scheinbarer naturwissenschaftlicher Gewissheiten. Der Künstler arbeitet die Bilder zu Kunstobjekten um, langsam, stufenweise, über die Dimension, der Computerausdruck wird zum großformatigen Ölbild.  Über die Kontextveränderung: Von der Intensivstation in die Galerie. Die Formen werden undeutlicher, das Gehirn wird zur Landschaft. Landschaft, hieß es in der Literatur der Romantik, sei der Ort, an dem die Herrschaft des Menschen nicht vollkommen wäre. Die Analogie geht noch weiter. Die Landschaft in der Kunst ist auch immer Methapher, steht immer für einen state of mind. So ist Landschaft, so ist Computertomographie, was im Kunstdiskurs lnscape heißt.
 
Die Wunde ist langes Warten in der Intensivstation, Erlebnis von Angst, Entsetzen, Hilflosigkeit. Auch wenn sie verheilt ist, das Trauma bleibt zurück. Die künstlerische Durchdringung sind die Schichtenbilder: die zufällige Anmutung der Arbeiten als Landschaften. Die Natur zeigt uns unsere Beschränktheit - wir können das Erdbeben messen, uns aber nicht davor retten.
 
So trifft sich dann das Bild des Computertomographen mit dem Spiegel, in den wir täglich sehen: es erinnert uns, dass unser Wissen um die Welt auch das Wissen um die Endlichkeit ist. Beides sind letztlich nur Vanitas - Stillleben.
 
Rupert Larl, 1999 | St. Johann in Tirol, Festival „erÖFFNungEN“
 
 

 

3.Sept.92, 1994; Öl/Leinwand, 150/150

Triptychon: 3.Sept. 92, 1994/95 Alu, geätzt, 100/150;

Triptychon: 4.Juni 93, 1994/95; Öl/Leinwand, 150/150

Triptychon: Futur, 1994/95; Öl/Leinwand, 100/150

Anterior, 1999; Öl/Leinwand, 100/150

CT 1, 1995; Transparentpapier,  Karton, Graphit, 50/85

CT 2, 1995; Transparentpapier, Karton, Graphit, 50/85

CT 3, 1995; Transparentpapier, Karton, Graphit, 50/85

CT 4, 1995; Transparentpapier, Karton, Graphit, 50/85

Subjektiv - Objektiv, 1995;  Spiegel geätzt, Alu geätzt, 180/60

Feminin, 1995; Alu geätzt, 100/100

Masculin, 1995; Alu geätzt, 100/100

 

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